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Nordische Impulse - Festspiele Bergen
Mittwoch, 26. Mai 2010
Kategorie: Festival.
Hinzugefügt von: hillenbr

Hell und lang sind die späten Frühlingstage in Norwegen, einem Land, das bekannt dafür ist, das Leben aus einer ‚bewundernswert erhellten’ Perspektive zu betrachten – wie seine blühende Musik- und Theaterszene zeigt. 2010 präsentieren sich die Festspiele Bergen jedoch auch von einer düsteren Seite.

Die 1953 gegründeten Festspiele Bergen sind das größte Festival ihrer Art im Nordischen Raum. 2010 umfasst das Programm 160 Veranstaltungen aus den Bereichen Musik, Oper, Theater, Tanz und darstellende Kunst. Bergen, die zweitgrößte Stadt Norwegens, ist eine historische Hafenstadt, Tor zu den Fjorden, Heimat des großartigen Komponisten Edvard Grieg auf Troldhaugen. Zugleich ist Bergen der Sitz eines der ältesten Orchester der Welt: des 1765 gegründeten Bergen Philharmonic, das heute unter der Leitung von Andrew Litton steht.

In diesem Jahr bieten die Festspiele Bergen vor allem den norwegischen Stars eine Bühne – u. a. dem Pianisten Leif Ove Andsnes, dem Geiger Henning Kraggerud, den Trompetern Tine Thing Helseth und Nils Petter Molvær, der mit der Bergen Big Band spielen wird, dem norwegischen Dirigenten Eivind Gullberg Jensen mit der NDR Radiophilharmonie Hannover, dem Norwegian Chamber Orchestra und dem Trondheim Symphony Orchestra. Doch auch internationale Künstler sind zu Gast, wie der Geiger Nicolai Znaider, die Pianisten Gabriela Montero und Saleem Abboud Ashkar, das Faust Quartett und Les Musiciens du Louvre unter Marc Minkowski.

Nach mehreren Jahren an der Komischen Oper Berlin hat Per Boye Hansen seit 2005 die Künstlerische Leitung der Festspiele Bergen inne: „Für 2010 haben wir einiges an Sensation und Nervenkitzel im Ärmel, denn wir werden verschiedene der dunkleren Aspekte in der norwegischen Vergangenheit unter die Lupe nehmen“, erklärt er. „Anne Pedersdotter“ ist die zentrale Musiktheaterproduktion der diesjährigen Festspiele Bergen. Auf die Bühne gebracht wird diese Zusammenarbeit mit Bergens Den Nye Opera und der Norwegian Armed Forces Band auf dem historischen Paradeplatz des Bergenhus Fortress aus dem 13. Jahrhundert. Edvard Fliflet Bræin (1924-1976) komponierte 1971 die Oper „Anne Pedersdotter“. Die Handlung spielt im späten 16. Jahrhundert. Im Mittelpunkt steht die Frau eines angesehenen Priesters aus Bergen, die ihrem Stiefsohn verfallen ist. Als ihr Mann erkrankt und letztendlich stirbt, wird sie der Hexerei angeklagt.

„Anne Pedersdotter“ ist ein packendes psychologisches Drama,“ sagt Hansen. „Die Oper – in ihrer Tonsprache in den frühen 1970ern möglicherweise als konservativ empfunden – ist wahrscheinlich eines der besten Bühnenwerke, die norwegische Komponisten in den letzten 40 Jahren hervorgebracht haben. Bereits bei ihrer Premiere war „Anne Pedersdotter“ ein Riesenerfolg. Der dramatische Aufbau ist sehr konzentriert, die dunkleren Themen sind durchzogen mit lyrischen Elementen und Humor.“ Die Oper basiert auf dem gleichnamigen, erfolgreichen Stück von Hans Wiers-Jenssen (1866-1925), das auch Respighis in Ravenna angesiedelte Oper „La fiamma“ inspirierte. Unter der Musikalischen Leitung von Peter Szilvay übernimmt die schwedische Sopranistin Ingela Brimberg die Hauptrolle. Regie führt Knut Hendriksen, ehemaliger Generaldirektor der Norwegischen Oper und langjähriger Künstlerischer Leiter der Oper Stockholm.

Knut Hendriksen ist kein geringerer als der Urenkel des sagenhaften, aus Bergen stammenden Geigers Ole Bull (1810-1880), der Geschichten über seine eigenen ‚übernatürlichen Fähigkeiten’ stets bereitwillig zum Besten gab. Die Festspiele Bergen 2010 feiern den 200. Geburtstag dieses großartigen Musikers und ‚vollendeten Schauspielers’.

Mit „Svartediket“ (Schwarzer Pfuhl) von Arild Brakstad entdecken die Festspiele Bergen eine weitere düstere Seite der norwegischen Vergangenheit – und vielleicht auch der Gegenwart. Die Musiktheaterproduktion gehört zur „black metal music“ – einer besonders frenetischen Form der Rockmusik, in der Norwegische Bands weltweit führend sind. Svartediket ist ein See in der Nähe von Bergen, der als Wasserspeicher für die Stadt dient. Bis ins späte 18. Jahrhundert hinein jedoch war er das nasse Grab unerwünschter Kinder… Aufgeführt wird die Produktion in Norwegens ältestem festem Theater, Den Nationale Scene, das auf das 1850 von Ole Bull gegründete Det Norske Theatre zurückgeht. Ole Bull galt als ‚Paganini des Nordens’, zu seinen Bewunderern zählten u. a. Schumann und Liszt. Darüber hinaus war er „der Begründer einer kulturellen Infrastruktur in Norwegen, das zu dieser Zeit noch ein sehr armes Land war… Ole Bull übte einen außerordentlichen Einfluss auf Kultfiguren wie Grieg und Ibsen aus“, erklärt Per Boye Hansen. Seine extravagante Villa in Lysøen bei Bergen mit ihrer ausgefallenen Zwiebelkuppel ist ein häufiger Veranstaltungsort für Konzerte im Rahmen der Festspiele Bergen.

Die Festspiele Bergen ehren Ole Bull u. a. mit einer Hommage von Vadim Repin und mit einer Geigensonderausstellung, die u. a. die Guarneri del Gesù des Künstlers zeigt. Ungebrochen ist der Einfluss des Musikers. Per Boye Hansen unterstreicht, dass das norwegische Bildungssystem eine starke Elite junger Musiker – vor allem Geiger – hervorgebracht hat, zu denen auch Vilde Frang gehört. Die 22-Jährige erregte bereits vor ungefähr 10 Jahren bei den Festspielen Bergen die Aufmerksamkeit der Geigerin Anne-Sophie Mutter und nimmt heute für das Label EMI Classics auf. Auch im Rahmen des diesjährigen Festivals werden junge hochbegabte Talente in Griegs Haus auf Troldhaugen konzertieren.

Was die norwegische Landschaft als Inspirationsquelle für den Komponisten Edvard Grieg war, sind die natürlichen und städtischen Aussichten für das Schaffen von Philip Glass. In Koyaanisqatsi, seinem 80-minütigen Soundtrack für den 1982 entstandenen Film ohne Worte von Godfrey Reggio, erwachen sie zum Leben. Philip Glass bringt sein nach ihm benanntes Ensemble nach Bergen, um dort für die Europa-Premiere des Werkes seine musikalischen Kräfte mit denen des Bergen Philharmonic zu vereinen.

Auch der spannende, manchmal durchaus auch umstrittene Regisseur Calixto Bieito aus Katalanien macht 2010 wieder in Bergen Station. Diesmal für eine Zusammenarbeit mit dem Betty Nansen Theater aus Kopenhagen. Mittels einer Collage aus Musik von J. S. Bach und Texten erzählt sein neues Stück die Passionsgeschichte in einer modernen Fassung. Bereits mit zwei Produktionen war Bieito bei den Festspiele Bergen zu Gast gewesen – mit „Peer Gynt“ aus Barcelona und „Brand“ mit der Oslo National Theatre Company. Per Boye Hansen erläutert: „Calixto Bieito besticht durch unglaubliche Vorstellungskraft wie durch tiefe Analyse. Seine Arbeit ist sehr vielschichtig und die Zuschauer können die Kraft seiner persönlichen Entwicklung spüren. Seine Inszenierungen sind in Bergen sowohl von der Presse als auch vom Publikum mit Begeisterung aufgenommen worden. Es gab viel mehr Kontroverse, als ich in Berlin mit ihm gearbeitet habe, aber dies betraf auch eher den Bereich Oper als das Theater. Trotzdem er mit starken Effekten arbeitet, ist es nicht sein Ziel zu provozieren.“

Den Bereich Tanz repräsentieren bei den Festspiele Bergen 2010 die New Yorker Paul Taylor Dance Company, ein Flaggschiff des Modernen Balletts, die Osloer Jo Strømgren Kompani, die sich „in ihrem Crossover-Stil auf direkte Kommunikation, physische Rohheit und absurden Humor“ konzentriert, und Carte Blanche, Norwegens nationale Company für Zeitgenössischen Tanz.

Die Festspiele Bergen sind in der Tat, wie Per Boye Hansen unterstreicht: „der Treffpunkt für die interessantesten kreativen und darstellenden Künstler des Nordens und auch darüber hinaus.“ Rund 40.000 Zuschauer werden nach Bergen pilgern, um ihre Arbeit zu erleben. In dieser großen Masse können sie sich dann selbst im Angesicht dunkler Mächte trotzdem noch immer sicher fühlen.


Ort: Bergen, Norwegen